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Leseprobe
7 Liz
Mein Handy klingelt.
„Wo bist du denn? Du hattest doch Frühdienst und wolltest Kuchen mitbringen. Warum bist du nicht heimgekommen?“
Typisch Paula. Zuerst ignorieren, dass und wann ich nach Hause komme, und dann vorwurfsvoll die Verlassene spielen.
„Ich bin im Park. Ich war schon zu Hause. Ich hatte nur keine Lust, dir und deinem neuen Lover zuzuhören, wie ihr zusammen duscht und wer weiß was noch macht.“
Sie geht nicht darauf ein, sondern seufzt nur verträumt.
„Helmut hat sich heute mit mir unterhalten. Zweimal sogar.“
„Dann komm heim und erzähl´s mir. Ich schenk uns schon mal Hugo ein.“
Wenn Paula wüsste, wie kurz ich wirklich jedes Mal davor bin, zu kommen, wenn ich an Helmut denke.
Vor unserer Haustüre versuche ich, den Kuchen einhändig zu balancieren, damit ich den Schlüsselbund aus der Hosentasche fischen kann. Doch der hat sich verhakt. Beim ruckartigen Herausziehen gerate ich ins Wanken und das Gebäck landet mit einem grotesken Platschen auf dem Bürgersteig.
Plötzlich taucht aus dem Nichts ein schwarzes, rattenähnliches Tier auf und liegt rücklings, mit strampelnden Beinchen vor mir. Es glotzt mich mit seinen Basedowaugen an, rappelt sich aber blitzschnell auf, schüttelt sich kurz, schnappt sich die Kuchenverpackung und verschwindet mit ihr hinter der nächsten Ecke.
Ich habe das Tier nicht kommen sehen, es ist vielmehr, als ob es sich wie bei einem Zaubertrick auf einmal vor mir materialisiert hätte. Nur ohne Ploppen und Sternchen. Und ohne Zylinder. Seltsamerweise trägt es ein blinkendes Halsband, also muss es das Haustier von jemandem sein. Allerdings habe ich noch nie eine Ratte in so einer Größe gesehen. Weder freilebend noch gezüchtet und schon gar nicht in Schwarz und einem flauschigen, dichten Fell wie das eines Maulwurfs. Vielleicht ist es auch ein entlaufenes Frettchen oder ein Marder, aber dafür ist der Schwanz zu kurz.
Ich trauere kurz um den Kuchen, mache mir aber weiter keine Gedanken um das eben passierte, sondern gehe endlich in die Wohnung.
„Du musst in die Pötte kommen, Elisabeth Schneitinger!“, ruft Paula empört, nachdem ich ihr alles erzählt habe, den Traum, die Begegnung vor dem Aufzug, unser Zusammentreffen im Park. Wir sitzen auf der Couch, Paula hat ihre Beine verschränkt auf dem Tischchen abgelegt und wedelt so wild mit ihrem Hugoglas herum, dass ich befürchte, sie schüttet den Inhalt auf unsere Kissen.
„Wie lange schmachtest du ihn von der Ferne aus an? Sechs Monate? Der Mann lässt bestimmt nichts anbrennen, wenn er wirklich so aussieht, wie du ihn beschreibst. Der wartet nicht auf dich. Du musst schon selbst aktiv werden, wenn das dieses Jahrtausend noch was werden soll mit euch. Oder willst du als alte Jungfer sterben?“
„Du weißt, dass ich schon Sex hatte und allein medizinisch gesehen gar keine Jungfrau mehr sein kann.“
„Darum geht’s doch gar nicht! Du bist 31 und dein Sexleben ist das einer 60-Jährigen.“
„Es ist ja nicht so, dass ich es nicht vermisse. Ich mag nur nicht mit jedem ins Bett, so wie ...“
Ich beiße mir auf die Lippen und nehme einen großen Schluck Hugo.
„So wie ich, meinst du. Ich weiß selbst, wie mein Leben ist. Aber zumindest habe ich Sex. Und sehr guten noch dazu. Du hättest den Typen mal sehen sollen! Ein Traum, gut bestückt, groß und breitschultrig und er konnte sogar reden. Und im Bett ist er großartig!“
Sie hält ihre Hände in einem beträchtlichen Abstand auseinander. Da ich Jens bereits kennen gelernt habe, weiß ich, dass sie maßlos übertreibt.
„Paula, so viele Informationen brauche ich gar nicht. Außerdem habe ich ihn heute früh gesehen. Er ist ins Bad zum Pinkeln gekommen, als ich gerade geduscht habe. Und er heißt übrigens Jens.“
Paula winkt ab und füllt ihr Glas bis zum Rand mit frischem Hugo.
„Ist mir doch egal, wie er heißt. Wir haben ja nicht mal unsere Telefonnummern getauscht. Für was auch?“
Sie zuckt mit den Schultern und schlürft mit gespitzten Lippen den Alkohol.
„Du kannst auf jeden Fall nicht immer nur dasitzen und von diesem Helmut träumen und darauf warten, dass er dich wahrnimmt.“
„Schimpf nicht mit mir. Ich kann nicht losziehen und einen Mann aufreißen. Ich will mich unterhalten und ich will, dass er mich mag und dass ich mir dessen sicher bin, bevor ich mit ihm schlafe.“
„So wie du über ihn redest und wie du dabei schaust, würdest du lieber ganz andere Sachen mit ihm machen, als reden. Wenn man schon so einen blöden Namen hat, muss man andere Qualitäten entwickeln, die das wieder aufwiegen, und offensichtlich hat er einige davon.“
Beim Umsetzen stößt sie mit ihren Füßen mein Glas um. Doch statt einen Lappen zu holen, nimmt sie den Zipfel ihres Shirts zum Aufwischen, bevor sie sich wieder mir zuwendet.
„Ja, ich würde wirklich gerne mehr mit ihm anstellen, als reden“, bestätige ich.
„Ficken zum Beispiel?“
„Warum musst du immer solche Worte sagen. Noch nie was von Romantik gehört? Helmut kann sich wahrscheinlich eh vor Angeboten kaum retten. Was soll er dann mit mir?“
„Schatz, fang nicht wieder damit an. Bis jetzt hattest du doch auch keine Probleme mit Männern. Was ist nur los mit dir? Seit Helmut mutierst du zu einem richtigen Hascherl. Außerdem weißt du genau, dass du toll aussiehst. Und deine Oberweite heute ...“
Nicht auch noch Paula. Das ganze Aussehenthema nervt mich unsäglich.
„Ich bin ein Meter fünfzig groß. Ich bin ein Zwerg mit viel zu großen Brüsten. Wäre ich ein Gartenzwerg, würde ich nach vorne umfallen. Ich trage seit den Neunzigern die gleiche praktische Kurzhaarfrisur, weil ich zu faul bin, mir die Haare zu machen, bevor ich zum Frühdienst gehe.“
Zur Verdeutlichung fahre ich mit meinen Fingern durch meine Haare und verstrubble meine nicht vorhandene Frisur.
„Na und? Männer stehen auf kleine Frauen. Außerdem hast du Augen, die jedes Reh neidisch machen. Jeder Mann, der dich sieht, springt sofort auf dein Kindchenschema an und würde dich am liebsten an sich ziehen, wegtragen und vor der bösen Welt und wilden Mammuts beschützen.
Und deine Haare sind so gesund und glänzend wie aus einer Shampoo-Werbung. Du bist eine der wenigen Frauen, die mit kurzen Haaren nicht aussieht wie eine Kampflesbe, sondern sexy.
Du hast schlanke Beine, die du übrigens auch zeigen solltest. Und du bist klug und belesen. Du hättest studieren können. Aber weil du nicht nur klug bist, sondern auch eine soziale Ader hast, bist du Krankenschwester geworden.“
Sie verzieht das Gesicht, als sie merkt, wie klebrig der Tisch vom nicht ganz aufgewischten Hugo ist, steht aber immer noch nicht auf. Also erbarme ich mich und hole einen Schwamm aus der Küche.
„Ich brauche keinen Mann, der einen Säbelzahntiger mit bloßen Händen erwürgen könnte“, informiere ich sie beim Putzen. „die laufen hier nämlich nicht so oft herum. Ich mag einen Mann, an den ich mich anlehnen kann, ohne dass er umfällt, was auf Grund meiner Größe selten Probleme macht. Er soll aber auch selbstständig sein und ein eigenes Leben haben und meines respektieren und mich achten. Ich weiß nicht, ob Helmut ein Mammut jagen könnte, er hat sich in meiner Gegenwart bis jetzt relativ zivilisiert benommen.“
„Jede Frau wünscht sich einen Mann, der sie beschützen kann. Du bist keine Ausnahme, auch wenn du es nicht zugeben willst. Frauen wollen richtige Männer und keine zum Reden und Kuscheln. Das ist immer nur angenehmes Beiwerk und auf die Dauer eh langweilig. Du könntest jeden haben, so wie du aussiehst“, übergeht sie meine Einwände.
„Stattdessen himmelst du einen Kollegen an, von dem du nicht mehr als seinen Namen und seine Qualifikation weißt und seit heute auch, dass er ein totes Ei hat. Und du putzt Altmännerärsche, statt endlich loszuziehen und das Leben und Helmut zu erobern! Es gibt ein echtes Leben außerhalb deiner Liebesgeschichten und kuriosen Träume.“
Eigentlich will ich nicht weiter darüber reden, wie erbärmlich mein Verhalten ist. Schließlich weiß ich selbst, dass ich durch Helmut ziemlich neben der Spur bin.
„Das ist schön, dass du das alles über mich denkst. Aber das ist nicht so einfach. Ich weiß nicht, wie man einen Mann erobert. Ich weiß ja nicht mal, was ich sagen soll, wenn Helmut da ist. Es ist, als ob sein Testosteron mein Hirn ausschaltet und mein Denken und Sprechen lähmt. Ich kann doch sonst auch mit Männern reden. Aber er wirkt auf mich wie ein Narkotikum oder eine Droge, und ich kann nur noch dümmlich grinsen und ihn anstarren. Wenn er weg ist, ärgere ich mich über mich selbst, dass ich nichts von dem gemacht habe, was Frauen so machen, um einen Mann zu beeindrucken.“
Ich nippe an meinem Glas.
„Und dass er meine Brüste gut findet, ist ja nicht mal mein Verdienst, sondern weil meine Gene und heute auch noch meine Hormone mich mit diesen Dingern ausgestattet haben. Was soll ich nur machen? Wenn ich ihn sehe, dann kribbelt mein ganzer Körper und mein Herz schlägt total schnell und meine Beine zittern wie aus Gummi. Ich glaube, ich liebe ihn!“
Ich fange an zu weinen.
„Von Liebe zu reden wäre ein bisschen übereilt, oder? Dazu braucht es schon mehr als einen Knackarsch. Aber es ist offensichtlich, dass du scharf auf ihn bist. Er hat dir ein Kompliment gemacht. Also findet er auch nicht, dass du hässlich oder abstoßend oder blöd oder unsexy bist. Und das ist doch schon ein Anfang.“
Sie zieht mich in eine Beste-Freundin-Umarmung und streichelt meinen Kopf, während ich jämmerlich schluchze und ihre Bluse nass weine.
„Du hast doch morgen frei. Ich weiß, du magst keine Discos, aber du musst dringend mal unter Menschen. Unter normale, gesunde Menschen.“
Ich will nicht unter irgendwelche Menschen, nur unter ihn. Aber ich weiß, dass es keinen Sinn hatte, zu widersprechen, und lasse zu, dass Paula mich in ihr Schlafzimmer führt und mich aufs Bett setzt, das immer noch dezent nach Sex riecht.
Ob sie wohl jedes Mal ihr Bett überzieht, wenn wieder einmal ein anderer Mann darin gelegen hat? Vor sich hin murmelnd wühlt sie sich durch ihren Kleiderschrank und hält schließlich ein curryfarbenes Kleid wie eine Trophäe hoch.
„Das Kleid wird perfekt an dir und zu deinen braunen Haaren aussehen! Hast du noch die schwarzen High Heels, die wir im Schlussverkauf für dich ergattert haben? Die wirst du heute anziehen.“
Ja, die Schuhe, in denen ich nicht laufen kann, ohne mich irgendwo festzuhalten. Turnschuhe sind mir lieber, passen aber nicht zum Kleid.
„Und dazu bekommst du von mir passendes Make-up. Die Männer werden Schlange stehen.“
Paula blinzelt mir verschwörerisch zu.
„Was für eine Unterhose trägst du? Du brauchst natürlich einen String. Ich will nicht, dass sich irgendwelche Bündchen abzeichnen. Am besten gehst du ganz ohne Unterwäsche. Und wann hast du das letzte Mal deine Beine rasiert?“
„Selbstverständlich werde ich eine Unterhose anziehen!“, widerspreche ich.
„Sonst ist ja die Blasenentzündung vorprogrammiert.“
„Du bist ein hoffnungsloser Fall, Schatz“, seufzt sie, fängt sich jedoch schnell wieder.
Sie ist ganz in ihrem Element und hüpft zwischen Schrank, Bett und Spiegel hin und her. Ich bin jetzt schon zum Umfallen müde, doch ich kenne Paula gut genug, um zu wissen, dass Jammern nichts hilft. Also ergebe ich mich der Situation, lasse mich wie eine Puppe in das Kleid stopfen und schminken.
Ich benutze selten Make-up und fühle mich deswegen clownartig angemalt. Fehlt nur noch die rote Nase.
Paula versichert mir aber, dass ich gut aussehe, und verströmt so viel Energie, dass ich mich beinahe auf den Abend freue.
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