Das Zisterzienserkloster Sticna - deutsch Sittich -, liegt etwa 30 km östlich von Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens entfernt. Durch die Geschichte hindurch war das Kloster ein wichtiges kulturelles Zentrum in Unterkrain (Dolenjsko) und auch darüber hinaus.
Am 12. Januar 1782 erließ Kaiser Josef II., ein Sohn und Nachfolger der Kaiserin Maria Theresias ein Dekret zur Auflösung aller Klöster. Davon war auch das Kloster Sittich betroffen. Dazu schrieb der slowenische Schriftsteller Ivan Zorec (1880 - 1952) folgende Geschichte (wörtliche Übersetzung aus dem Slowenischen)
Nachdem das Dekret zur Auflösung der Klöster von Kaiser Josef II. bekannt geworden war, haben sich die weißen Mönche in Sittich Tag und Nacht ihre Köpfe zerbrochen, wie sie diese Gefahr von ihrem Kloster abwenden könnten.
Aber sie hatten keine rechte Idee. »Ich werde einfach nach Wien zum Kaiser fahren«, sagte der Abt, »der Kaiser weiß wahrscheinlich gar nicht, was wir hier tun. Wir müssen ihm das nur verständlich machen.« Der Abt machte sich gleich auf den Weg. Begleitet wurde er nur vom Klosterbruder Koch, damit der Abt nicht ganz allein reisen müsste und damit ihm der Koch zur rechten Zeit eine Speise zubereiten könnte.
In Wien angekommen - Stadt: Haus an Haus, so viele, dass man sich verirren könnte. Die beiden irrten lange umher, bis sie endlich eine Bleibe fanden, um sich auszuruhen. Aber der Abt dachte nicht ans Ausruhen, die Sorge nagte, und er machte sich gleich auf den Weg zum Kaiser.
In der Vorhalle wird der Abt von einem Minister angehalten, der sich nach seinem Anliegen erkundigte. »So und so«, erläutert der Abt, »ich muss eben den Kaiser sprechen.« Der Minister blickte streng, wollte ihm gar nicht die Tür zum Kaiser zeigen. Aber der Abt, flugs, machte die Tür auf und schon stand er vor dem Kaiser.
Der Kaiser hört dem Abt zu und lächelt. Als der Abt zu Ende gesprochen hat, wie die weißen Mönche freundlich mit den Unterkrainern zusammenlebten und arbeiteten, nickt der Kaiser und sagt: »Also gut, das Kloster bleibt, wenn Sie mir drei Fragen beantworten können.« »Welche denn?«, fragt der Abt ängstlich. Darauf der Kaiser: »Erstens: Wie weit ist es von der Erde bis zum Himmel? Zweitens: Wie viel wert bin ich? Drittens: Was denke ich gerade?« Dem Abt tropfte der Schweiß von der Stirn - wie auch nicht - die Fragen waren ja verdammt schwer. »Sie müssen aber nicht sofort antworten«, sagte der Kaiser lächelnd.
Der Abt kehrte mit sorgenvoller Miene zurück in die Unterkunft. »Die Zeichen stehen schlecht«, der Abt kleinlaut zum Bruder Koch, »der Kaiser hat mir einige Fallen gestellt.« Der Bruder Koch kratzt sich hinter dem rechten Ohr, dann noch hinter dem linken und sagt lächelnd: »Lassen Sie mich zum Kaiser gehen, ich werde mit ihm schon fertig werden.« Dann erläutert er dem Abt, wie er auf die Fragen des Kaisers antworten werde. Der Abt, verwundert über die Aufgewecktheit seines Mitbruders, zögert noch ein wenig und sagt: »Der Kaiser kennt mich schon, er wird sofort merken dass du nicht der Richtige bist.« »Ach was«, entgegnet der Koch, »der Kaiser sieht so viele Leute und wird sich wohl nicht alle Gesichter merken können. Geben Sie mir nur ihren Anzug, und die Sache klappt dann schon.«
Und so geschah es auch. Am nächsten Tag begab sich Bruder Koch als Abt verkleidet zum Kaiser. »Sie schon hier?«, fragte der Kaiser verwundert. »Nun also gut, zur ersten Frage: Wie weit ist es von der Erde bis zum Himmel?« »Nicht länger als neun Stunden«, erwidert der Koch, »Christus starb um drei Uhr nachmittags, aber bevor er starb sagte er dem rechts von ihm gekreuzigten Räuber - noch heute wirst Du mit mir im Paradiese sein. Dieser Tag dauerte nur noch neun Stunden.«
Der Kaiser staunte nicht wenig, konnte sich der Wahrheit jedoch nicht verschließen und stellte die zweite Frage: »Wie viel wert bin ich?« Der Koch: »Weniger als 30 Silberlinge. Wenn Ischariot 30 Silberlinge für Christus, den König der Könige und Kaiser der Kaiser bekommen hat, dann sind Sie mit Fug und Recht etwas weniger wert.« Der Kaiser nickt, zwar ungern, und stellt die dritte Frage: »Was denke ich gerade?« Bruder Koch lächelt ein wenig und sagt: »Sie denken, ich sei der Sitticher Abt, bin ich's aber nicht. Ich bin nur sein Koch.«
Trotz der Weisheit des Bruders Koch waren die Stunden des Klosters gezählt.
|