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Burkhard Bierhoff, Kritisch-humanistische Erziehung. Pädagogik nach Erich Fromm. Freiburg i.Br. (Centaurus Verlag & Media KG) 2013, 100 Seiten, Preis: 8,80 €, ISBN 978-3-86226-186-4.
S. 87-94 (gekürzt).
Neben der Dimension der Wachstumsförderung durch Erziehung ist ein weiterer Blick auf das Bindungsverhalten und die zwischenmenschliche Zuwendung zu richten, die schon in den ersten Lebensmonaten eine tiefe Prägung des jungen Menschen bedeuten. In den ersten Lebensmonaten und -jahren sedimentiert die Sozialerfahrung des Menschen in Interaktionsformen, die ihm den Zugang zur und die existenzielle Verbindung mit der Welt der Menschen und Dinge im Kontext seiner Kultur erschließen. Diese seit der frühen Kindheit erworbenen Grundlagen an Soziabilität bestimmen die weiteren Lebensphasen entscheidend.
Erlebte Geborgenheit und Glück in den frühen Lebensjahren legen das Lebensgefühl eines Menschen bis ins Alter hinein fest. Sigmund Freud war der Ansicht, dass das Glückserleben der Menschen in den entwickelten Zivilisationen rückläufig sei, da die kulturschaffenden Aktivitäten auf Triebverdrängung, Triebverzicht und Sublimierung der Triebenergien gründen. Zudem ging Freud von der pessimistischen Vorstellung aus, ein Todes- oder Destruktionstrieb wirke als unvermeidbare anthropologische Konstante in der Kulturentwicklung.
Fromm zweifelte diese Kulturanalyse an und begründete die Ansicht, menschliche Destruktivität entspringe der Verhinderung einer produktiven Beziehung zur Welt („Destruktivität ist die Folge ungelebten Lebens“). In einschränkenden oder destruktiven Beziehungsverhältnissen werden die Bedürfnisse des Kindes nicht im Sinne einer optimalen Entwicklung der Liebes- und Vernunftfähigkeit befriedigt und die Pathologien in der gesellschaftlichen Normalität durch Erziehung und Sozialisation weitergetragen.
So führen z.B. Einschränkungen der Lebensweise durch Prekaritäten wie Armut, Arbeitslosigkeit oder Scheidung, kompensatorische Bedürfnisse der Eltern nach käuflichen Gütern und demonstrativem Konsum, Süchte stoffgebundener oder stoffungebundener Art dazu, dass Kinder nicht die menschlichen Zuwendungen, die Akzeptanz und Begleitung erfahren, die sichere vertrauensvolle Bindungen ermöglichen. Folgen dieser Vernachlässigung sind Langeweile, Erlebnishunger und Spaßstreben, Überkonsum und Rücksichtslosigkeit, Gewalt, Kriminalität und Rechtsextremismus, Alkoholmissbrauch sowie psychische und psychosomatische Krankheiten. All diese Phänomene und Probleme sind gesellschaftserzeugt und lassen sich nicht durch ein verändertes Erziehungsmodell abstellen. Wie soll dieser Misere durch Erziehung begegnet werden, wenn die gegenwärtig praktizierte Erziehung Teil dieses menschenunwürdigen Teufelskreises ist?
Die zentrale Grundlage für einen humanisierenden Wandel ist die bedingungslose Akzeptanz eines jeden Menschen als Mitglied dieser Gesellschaft. Ein sozialpolitisches Konzept, das genau diese Akzeptanz voraussetzt, ist mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gegeben. Fromm war bereits seit den 1950er Jahren Protagonist eines solchen Einkommens (vgl. Fromm 1966c, GA V, S. 309ff.), das den Menschen materielle Sicherheit gibt und sie für freiwillige und sinnvolle Tätigkeiten im Gemeinwesen freisetzt. Denn nur wer sich nicht in einem Existenz- und Überlebenskampf befindet, kann mit freiwilligem Engagement sozial nützliche Aktivitäten beginnen, die die persönlichen Kräfte ebenso wie die kommunikativen Potenziale der menschlichen Lebenswelt stärken.
Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des CENTAURUS Verlag
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