Konzertkritik aus der Süddeutschen Zeitung vom 10.12.2002
Händels Oratorium ,,Judas Maccabaeus"
Fürstenfeldbruck- Oper konzertant oder Oratorium szenisch? Beide Möglichkeiten zeigen, dass die oft dramatische Handlung das verbindende Element darstellt. Es ist ein Kennzeichen unserer Zeit, dass Grenzen überschritten und neue Ausdrucksformen gesucht werden, was immer öfter zu solchen Projekten führt. Unterschiede jedoch bleiben erhalten: Die Rolle des Chores zum Beispiel ist im Oratorium unvergleichlich größer als in jeder Oper. Bei szenischer Aufführung ist es daher unabdingbar, dass jede Sängerin und jeder Sänger die ganze Partie sicher auswendig kennt, was für einen Laienchor ein scheinbar unüberwindliches Hindernis darstellt. Aber eben nur scheinbar, wie der über achtzig Mitglieder zählende Bach-Chor am vergangenen Wochenende in zwei Aufführungen des Händel-Oratoriums ,,Judas Maccabaeus" auf der Bühne des Fürstenfelder Stadtsaales höchst eindrucksvoll bewies.
Neue Qualität
Dirigent Gerd Guglhör, der mit Regisseur Georg Blüml und der ,,Bayerischen Singakademie" erst vor wenigen Wochen eine fast vergleichbare Idee in die Praxis umgesetzt hat, wollte hier ganz offensichtlich bis an die absoluten Grenzen der Leistungsfähigkeit des Chores gehen. Durch den Verzicht auf die Noten gewann der Kontakt zum Publikum eine neue Qualität hinzu.
Als sich der Vorhang nach der Ouvertüre hob, beeindruckte zunächst die ganz mit zusammengekauerten Menschen in naturfarbe nen Kostümen bedeckte Bühnenfläche in gedämpfter Beleuchtung. Frei gelassen war nur die Mitte, in der der tote Anführer der Israeliten, Mattathias, aufgebahrt lag. Allein der optische Gestus, als sich die Volkesmenge im Verlauf langsam erhob und, bei immer strahlender werdendem Licht, höchst homogen und klangvoll die Klage um Zion anstimmte, war geradezu überwältigend. Dabei darf nicht übersehen werden, dass, im Gegensatz zur Entstehungszeit und der bisherigen Praxis des Bach-Chores, als Oratorien in Kirchen aufgeführt wurden, die Akustik der Stadthalle vol]kommen trocken ist und sich daraus eine zusätzliche Erschwernis ergibt. Noch gesteigert wurde der gewaltige Eindruck, als sich dem neuen Anführer Judas Maccabaeus alle Hände gleichzeitig entgegenstreckten und die gewisse Statik der Massen durch einen ganz organischen Austausch der Chorhälften rechts und links aufgelöst wurde.
Es versteht sich fast von selbst, dass die Solisten der Aufführung technisch wie musikalisch die ihnen gestellten Aufgaben hervorragend bewältigten: Christian Zenker (Tenor) bewies als Judas Maccabaeus in den Koloraturen hohe Prägnanz, aber auch edlen Stimmklang in den langsamen Passagen (,,How vain is man"). Thomas Gropper (Bass) überzeugte als Simon und Priester. Sarah Yorke (Sopran, Israelitin) und Monika Lichtenegger (Mezzosopran, Israelit) fügten sich tonschön in den Gesamtklang ein. Die Chormitglieder Jens Hunecke (Tenor) in der Rolle des Boten und Jens Schwanhäußer (Bass) als Eupolenus erfüllten ausdrucksstark ihre Aufgaben.
Es ist unvermeidlich, dass das im Orchestergraben fast unsichtbare Bach-Orchester angesichts des Bühnengeschehens im Bewusstsein zurücktrat. Das höchste Lob mag deshalb sein, dass es, hätte es nicht tadellos musiziert und den Sängern wunderbar den klanglichen Boden bereitet, sicher mehr aufgefallen wäre. Nur die effektvoll auf der Seitentreppe postierten drei Trompeten und der Pauker traten, dem Text entsprechend, klar heraus.
Großer Jubel und nicht endenwollender Applaus signalisierte zum Schluss nicht nur, dass sie eine hervorragende Leistung geboten hatten, sondern dass die szenische Aufführung eines solchen Oratoriums auch die suggestive Bilderkraft der Musik kongenial zu steigern vermag.
KLAUS MOHR
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