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Leseprobe:
Alle Anzeichen wiesen schon lange auf einen gewaltigen Sturm hin. Aber ich ignorierte die Warnzeichen, hatte den Kopf in den Sand gesteckt. Wieso nur? Jetzt war es zu spät. Stefan hatte mich vor einigen Wochen verlassen …
M i c h, Mannequin-Figur, mit High Heels und Hochschlagfrisur mindestens 1,76 groß, gebildet, elegante Erscheinung und was weiß ich noch alles.
Er habe eine neue Liebe, meinte er an einem Freitag, den Dreizehnten, zwischen Tür und Angel auf dem Weg ins Sportstudio. Er werde auch bei Mira die Nacht verbringen. Ausgerechnet die aufgetakelte Mira aus dem Studio, das krasse Gegenteil von mir – klein, pummelig und …
Oh Katharina, du willst sie jetzt doch nicht so richtig durch den Kakao ziehen? Das ist unter deinem Niveau. Lass es, denn es bringt nichts, dachte ich sogleich beschämt. Was Kränkung aus einem an sich netten Menschen wie mir doch machen kann!
Am Samstag kam Monsieur um die Mittagszeit, packte seine Habseligkeiten in einen Koffer, legte den Schlüssel auf den Tisch und verabschiedete sich nach ein paar Belanglosigkeiten.
„Tschüss Katharina, das wars mit uns, es tut mir leid. Nichts ist für die Ewigkeit!“, waren seine letzten Worte.
Ich war geschockt, fand keine Worte, in meinem Kopf brodelte es. Was ist das überhaupt für ein Name? Mira – Miranda – Mirabelle? Was für ein sonderbarer Name! Ein Obstname, hahaha.
Am liebsten hätte ich Hackfleisch aus ihm gemacht. Ich versuchte, Coolness vorzutäuschen. Meine Hände ballten sich jedoch zu Fäusten. Ich hatte Mühe, in meinem Atemrhythmus zu bleiben. Bloß nichts anmerken lassen, Haltung bewahren!
Räudige Hunde soll man ziehen lassen. Diesen Spruch hatte ich vor langer Zeit aufgeschnappt. Er half, nicht ins seelische Chaos zu stürzen. Insgeheim bewunderte ich mich in diesem Moment. In aller Ruhe nahm ich eine Nagelfeile aus meiner Handtasche und fing an, meine Nägel zu feilen.
„Hast du alles? Geh, komm mir nie wieder unter die Augen“, sagte ich in scheinbar gelangweiltem Tonfall. Nach diesem Satz beachtete ich ihn nicht mehr, drehte mich um und ging in die Küche. Dort wartete ich, dass endlich die Haustür ins Schloss fiel. Ich war gekränkt und zutiefst verletzt.
Mein Herz hatte die Realität lange Zeit verweigert, obwohl mein Hirn wusste, dass es zwischen uns nicht mehr so toll lief. Romantische Abende gab es schon eine Weile nicht mehr, weil ich nach der Arbeit ziemlich kaputt war. Aber einer musste doch die Brötchen verdienen! Seine neu eröffnete Werbeagentur dümpelte vor sich hin. Ich arbeitete in einem Immobilien-Büro als Sekretärin, bekam jedoch immer häufiger die Aufgabe, der entsprechenden Zielgruppe nachmittags oder abends Wohnungsprojekte der Mittelklasse vorzustellen. Dadurch schnellte mein Einkommen in die Höhe und half, die Kosten zu decken, denn Monsieur hatte ja kein Einkommen. Als sich seine Auftragslage stabilisiert hatte, gab ich meine Nebentätigkeit auf, hoffend, dass sich alles wieder normalisierte.
Aber es war bereits zu spät.
Unsere erste Verliebtheit kam mir in den Sinn. Wir hatten uns im Tanzclub kennengelernt. Seine Augen waren es, die mich magisch angezogen hatten. Sie strahlten Wärme und Güte aus. Sein volles dunkles Haar, der ausdrucksvolle Mund, die Körpergröße von stattlichen einen Meter neunzig und seine Stimme faszinierten mich sofort. Noch dazu tanzte er wie ein junger Gott, obwohl er auch schon um die fünfzig war. Es dauerte nicht lange und er zog bei mir ein. Wir hatten wundervolle Monate in Harmonie und Glück erlebt und beide an Liebe bis an das Ende unserer Zeit geglaubt.
Verbittert zog ich meine Mundwinkel nach unten, weil ich erkannte, dass nichts für die Ewigkeit Bestand hat.
Seit vielen Wochen badete ich nun schon in meinen Wunden, kämpfte mit Trauer, Enttäuschung und Wut. Oh, wie gern würde ich alle meine verflossenen Männer in einen Sack stecken, zubinden und mit dem Knüppel drauf hauen! Es würde immer den Richtigen treffen. Das Lied von Marlene Dietrich fiel mir ein, meine grauen Zellen erinnerten sich speziell an die zweite Strophe, und ich fing an, laut zu singen:
Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht,
wenn an der nächsten Ecke schon ein anderer steht.
Man sagt Auf Wiedersehen und denkt sich heimlich bloß,
na endlich bin ich wieder ein Verhältnis los.
Ach, wenn es doch so leicht wäre ...
Aber jetzt ist Schluss!, machte ich mir Mut, zum Teufel mit Stefan, ab heute bin ich wieder glücklicher Single, werde mit meinen 55 Jahren nur noch die schönen Seiten des Lebens genießen, basta.
Ich brauchte Ablenkung von der Einsamkeit und loggte mich wie jeden Abend bei Facebook ein. Die Plattform hatte mich recht fest im Griff.
„Kannst du deine Zeit nicht besser verbringen? Musst du dich in einer Tour im Internet herumtreiben? Bist du etwa Facebook-süchtig?“, schimpfte ich mit mir, als ich vor dem Bildschirm saß und die neuesten Mitteilungen las. Meine oftmals ironisch geschriebenen Statements – manchmal sprach ich richtig laut, wahrscheinlich eine Folgeerscheinung des Alleinseins –, wurden dabei von herabgezogenen Mundwinkeln begleitet. Spürte ich die Verspannung, hörte ich gleich damit auf, aber es war eine hässliche Angewohnheit, die ich einfach nicht abstellen konnte. Ich wusste, dass diese Grimasse früher oder später zur Faltenbildung führen würde. Aber das war meinem traurigen Herzen wohl egal.
Es gab aber auch Kommentare, die mich zum Lachen brachten. Vielleicht nützte das ja als Ausgleichsübung für meine Mundwinkel?
Ich liebte die abendlichen Besuche auf Facebook, denn ich pflegte Kontakte zu Menschen, die mir mit der Zeit wichtig geworden waren, wenn auch nur virtuell. Lucky, mein Cockerspaniel, spitzte jedes Mal erwartungsvoll die Ohren und schaute mich an, wenn ich irgendwelche Laute von mir gab. Wirklich begreifen, warum sein Frauchen mit dem viereckigen, schwarzen Kasten sprach, konnte er nicht und war bestimmt oft enttäuscht, weil die Aufmerksamkeit abends nicht ihm galt.
Millionen von Menschen aus aller Welt nutzen Facebook, um Gedanken auszutauschen oder Neues mitzuteilen. Es überraschte mich, dass ich hier auch viele ältere Personen über sechzig traf, die nicht mit dem Internet aufgewachsen waren. Aufgeschlossen hatten sie sich mit dieser modernen Art von Kommunikation vertraut gemacht und mischten fleißig mit. Mancher Beitrag war interessant, mancher pures Blabla. Ich war noch nicht einmal zwei Monate Nutzer, hatte schon 200 Freundschaftsanfragen bestätigt und staunte, wie schnell meine Facebook-Familie wuchs.
Heute war wieder so ein Tag. Ein gewisser Michael bat um Freundschaftsbestätigung.
Auch so eine Masche im social media Bereich. Jeder redet sich mit dem Vornamen an und duzt sich. Das schafft sofort Vertrauen. Hundertprozentig stimmte ich dieser Gepflogenheit nicht zu, aber gegen den Strom wollte ich auch nicht schwimmen. Aber ich sagte mir ab und zu: Es ist ja nicht die reale Welt. Und mit der Bezeichnung Freundschaft bin ich ebenfalls nicht einverstanden. Man müsste ein neues Wort erfinden.
Wer war dieser Michael und warum wollte er meine Freundschaftsbestätigung? Wie hatte er mich gefunden? Über meine Freunde und deren Bekannten?
Bevor ich eine Anfrage bestätigte, informierte ich mich. Ich klickte seine Seite an, denn ein bisschen neugierig war ich schon. Das Bild war ansprechend. Ein Mann, vermutlich um die Dreißig, dunkelhaarig, sympathisch aussehend, offener, freundlicher Blick. Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch. Nationalität: Australier. Wie alt er wirklich war, konnte ich nicht feststellen. Clever hatte er nur Geburtsdatum und Monat angegeben.
„Interessant, da sind wir uns in einem Punkt ja schon einig!“, grinste ich. Nun denn, irgendetwas muss er sich dabei gedacht haben, ausgerechnet bei mir anzufragen, sagte ich mir und klickte auf Bestätigung. Dann begrüßte ich ihn auf seiner Seite mit ein paar netten Worten.
Er interessierte mich weiter nicht, ich hätte ihn auch sofort wieder vergessen, wenn er nicht durch Anstupsen meine Aufmerksamkeit gesucht hätte. Da er jetzt in meine Freundesliste aufgenommen war, erhielt er auch alle Informationen von meiner Seite. Wer Facebook-Nutzer ist, weiß, dass man sich durch den Button Anstupsen in Erinnerung bringen kann.
Wenn es ihn freut, soll er doch stupsen, so viel er will, feixte ich, ich werde garantiert nicht stupsen. Was soll das bringen?
Doch eines Abends stupste ich aus lauter Lust und Übermut zurück. Ich hatte nicht darauf geachtet, dass er im Netz war. Eine gute Einrichtung bei Facebook. Man sah immer sofort, wer von den sogenannten Freunden online war, wenn nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, im Chat für private Nachrichten auf offline zu schalten.
Postwendend, als hätte er nur auf ein Zeichen von mir gewartet, schrieb er mich im besagten Chat an.
Ein Klick auf den Namen oder das Bild von der Person, mit der man chatten will, genügt. Das Chatfenster öffnet sich und man kann einen persönlichen Dialog mit demjenigen führen, ohne dass andere Online-Teilnehmer davon berührt werden.
Und jetzt hatte er mich angeklickt und schrieb:
Hallo Katharina, ich bin Michael und danke dir, dass du meine Freundschaftsanfrage bestätigt hast. Ich habe gezielt nach dir gesucht. Warum, wirst du später erfahren. Dein Bild hat mich sofort verzaubert. Du bist eine ausgesprochen attraktive Frau. Deine Augen, obwohl auch Leid aus ihnen spricht, sind sehr wach. Ich bitte dich, mit mir zu kommunizieren. Über Europa und Deutschland, sowie persönliche Ereignisse möchte ich mehr wissen. Sicher gibt es genügend Informationen im Internet, aber viele Fragen bleiben unbeantwortet. Ich würde mich freuen, wenn du mit einem Gedankenaustausch einverstanden wärst, bitte.
„Er scheint ein höflicher junger Mann zu sein, warum nicht“, sagte ich mir. Wer so kultiviert fragt, hat Antworten verdient. Und welcher junge Mann ist heute noch an der Meinung älterer Damen interessiert? Mal sehen, was er zu sagen hat. Abbrechen und ihn aus meiner Liste streichen kann ich jederzeit.“
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