Konsequenz versus Toleranz - Erlauben oder verbieten?
Maja wird immer noch gefüttert, obwohl sie das eigentlich längst allein kann. Ihre Mutter fürchtet allerdings, dass danach das Essen gleichmäßig auf Maja, ihrem Essplatz und dem Boden verteilt sein würde. Außerdem macht sie sich darüber Sorgen, dass die für ihre Begriffe ohnehin schon viel zu magere Maja nicht satt werden könnte und Mangelerscheinungen auftreten könnten. Jede Nahrungsaufnahme wird für Maja’s Mutter zur Tortour. Sie will, dass Maja isst, Maja will Zeit herausholen. Inzwischen dauert jede Mahlzeit ca. 2 Stunden, die Mutter ist völlig entnervt. Was hier helfen kann ist ein Ritual; z. B. „Einen Löffel für Luise, einen für die grüne Wiese, einen für den Osterhas’, der auf dieser Wiese saß…“ und Maja den Löffel selbst führen lassen, nur im „Notfall“ eingreifen. Kinder, die fröhlich mit Humor gefüttert werden, essen meist spielerisch und unkompliziert. Ebenfalls zum Ritual könnte gehören, dass der Tisch fantasievoll gedeckt ist und nach dem Essen eine Stunde mit Maja gespielt wird, dann müsste sie sich die Zeit mit der Mutter nicht durch diese Essensaktion erkämpfen.
Kinder sind grenzenlos. Sie wollen am liebsten alles und das möglichst sofort. Sie brauchen daher Grenzen, denn sie können Risiken noch nicht abschätzen. So kann ein „Nein“ im Ernstfall dem Kind das Leben retten, zum Beispiel beim Überqueren einer Straße oder beim hoch klettern auf eine Fensterbank. Gefahren werden von kleineren Kindern, die gerade die Welt entdecken, noch nicht als solche eingeschätzt, sie sind auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Die Kinder lernen Stück für Stück welche Grenzen sie einhalten müssen und welche sie selbst bestimmen können. Eltern können diesen Lernprozess fördern, indem sie die kindlichen Allmachtsgefühle in sinnvollem Rahmen halten, Kompromissbereitschaft vorleben und dem Kind feste Anhaltsspunkte zur Orientierung bieten. Grenzen sollten nicht willkürlich gesetzt werden und nur so lange aufrecht erhalten werden, wie sie sinnvoll sind.
Warum gelingt es so selten, nein zu sagen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Nein zu mehr Taschengeld, dem Handy für den Schulanfänger oder nein zu nächtlichen Streifzügen oder Diskobesuchen für die Teenies, wenn am nächsten Tag Schule ist. Ist es wirklich so schwer, konsequent zu sein und sich doch nicht zum autoritären Familiendespoten zu entwickeln?
Grenzen, die Kinder unbedingt kennen sollten, sind die Tag und Nacht Grenze, d. h. einen gesunden Rhythmus zwischen schlafen und wach sein zu entwickeln, die Hunger Durst Grenze, mein und dein unterscheiden zu können und ja und nein auseinander zu halten.
Wird das Kind älter lernt es, dass manchmal ein „Nein“ auch verhandelbar ist. So erfuhr der 10jährige Yanic zum Beispiel neulich, dass er vielleicht doch eine Stunde länger draußen spielen kann, wenn die Hausaufgaben gemacht sind und das Zimmer nicht nur begehbare Schneisen aufweist, sondern richtig aufgeräumt ist.
Dass auch Begrenzungen sinnvoll sind, zeigt sich in der Situation von Julia. Julia ist 8 und lebt mit ihrer Mutter und der älteren Schwester allein. Nachdem der Vater ausgezogen ist, orientiert sich die Mutter beruflich neu, macht eine Umschulung und ist oft nicht zu Hause. Die finanziellen Mittel sind begrenzt und Material zum Basteln kann leider nicht in dem Umfang gekauft werden, in dem Julia es gern hätte. Auch ein Klavier und der dazu passende Unterricht würde das Budget der Mini-Familie sprengen. Aber Julia weiß sich zu helfen, aus der Not eine Tugend zu machen; sie ist in einen Waldkindergarten gegangen und hat gelernt, kreativ zu spielen, mit Dingen, die sie in der Natur findet. Die große Schwester bringt ihr nachmittags das Noten lesen bei und wenn die Umschulung der Mutter beendet ist, wurde Julia ein Klavier versprochen.
Klare Linien, jeder weiß Bescheid und tragfähige Kompromisse werden gefunden. Ein Traum, der ganz schnell wahr werden kann.
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