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Ein Vater entsteht
Bedeutet wirklich jeder gesellschaftliche Normwandel einen Fortschritt? Ist es immer ein „Schritt nach vorn“, wenn sich neue Werte etablieren und zur „Normalität“ werden?
Wie ist es zum Beispiel mit der modernen Idee, die werdende Väter zur unbedingten Anwesenheit bei der Geburt ihrer Kinder verdammt? Zugegeben ist dies eine provokante Wortwahl, doch mag es sich für den einen oder anderen „Betroffenen“ durchaus so anfühlen, wenn auch unwahrscheinlich ist, dass er dies derartig unverblümt hinausposaunt.
Die Mehrheit der Väter wird uns allerdings andere Worte hören lassen. Die ungeheure Wichtigkeit diesen unvergleichlichen Moment hautnah mitzuerleben, wird immer wieder von der Masse der Väter in verschiedensten Verbalvariationen in die Welt getragen. Es ist ein zweistimmiges Lied, getragen vom Chor der Weiblichkeit, der männliche Anwesenheitspflicht als unbedingte Stütze und als untrennbare zweite Hälfte im Sinne einer symbiotischen Liebesbeziehung postuliert.
Vor nicht einmal 50 Jahren war das ganz anders und soweit wir wissen, gab es niemals zuvor in der jahrtausendelangen Kulturgeschichte der Menschheit eine solche Idee.
Wie konnte sich diese völlig fremdartige und nagelneue Idee so schnell nahezu weltweit und kulturübergreifend etablieren?
Ich erinnere mich, dass in den 70er Jahren die Mär von reihenweise in Ohnmacht fallenden Vätern im Kreissaal die Runde machte. Mindestens augenzwinkernd, nicht selten eher ermahnend, wurden werdende Väter darauf hingewiesen, denn wenn die Habamme sich um den kollabierten Mann kümmern müsse, könne es sein, dass die Gebärende die Geburt ohne angemessene Hilfe zu bewältigen hat. Ob der Mann das wirklich riskieren will? Abgesehen von der Schmach für das männliche Selbstwertgefühl, wenn er sich wie ein gefällter Baum im Kreissaal auf dem Boden gestreckt wieder findet…. Ich weiß nicht, ob es eine wahre Geschichte ist, dass Männer vor der Geburt manchmal eine Aufklärung der Klinik unterschreiben mussten, dass sich im Falle einer Ohnmacht im Kreissaal niemand um sie kümmern könne.
Heute denke ich, dass vielleicht die durchschnittlichen Klinikgeburten zu dieser Zeit der Zangengeburten und Routine-Dammschnitte wirklich derartig brutal anmuteten, dass die aufgeregten und verunsicherten männlichen Zuschauer sich tatsächlich lieber in eine Ohnmacht flüchteten, statt diesen Horror länger aushalten zu müssen. Womöglich war es auch ein bewusst im Umlauf gesetzter Mythos, um Männer von diesem neuartigen Dummsinn abzuhalten, weil sie die klinischen Routineabläufe stören könnten?
Ich erinnere mich auch, was ich –als pubertierende, frauenbewegte Göre, zu diesem Thema dachte. Der Mann, der es wert sein würde, dass ich mich ihm hingebe und sogar ein Kind mit ihm zeuge, der wird so stark und besonders sein, dass er ohne jeden Zweifel der Geburt seines Kindes ohnmachtsfrei und mich selig-liebend anstrahlend, beiwohnen würde. Logisch!
Milde lächelnd erinnere ich mich an diese naiven Gedanken aus meiner späten Kindheit. Doch hier und da glaube ich diesem kindlich-trotzigen Urglauben in die Besonderheit meiner zukünftigen Liebesbeziehung in den Äußerungen schwangerer erwachsener Frauen wieder zu begegnen, die vehement die Selbstverständlichkeit der Anwesenheit ihres Partners bei der Geburt vertreten.
Mal unter uns: Ein guter werdender Vater will ja auch dabei sein. Ob mit High-Tech-Videoausrüstung, dem von ihm selbstgekochten Lieblingsessen der Gebärenden in Tupperdosen, homöopathischer Globolisammlung für alle Fälle oder selbstgeklöppeltem Schweißtüchlein für die Stirn der Liebsten in der eigenen Kliniktasche (ja, auch der Vater braucht seine eigene Kliniktasche!), wie auch immer, er muss einfach dabei sein. Natürlich!
Nein, natürlich ist das nicht. Weder in der Kulturgeschichte des Homo Sapiens, in Ritualen so genannter „Naturvölker“, noch im Reich der wilden Tiere finden wir auch nur ähnlich anmutende Verhaltensweisen. Das Prädikat „natürlich“ hat die Anwesenheitspflicht von Männern bei der Geburt ihrer Kinder nicht verdient. Nicht, dass es deshalb falsch wäre, nein, das will ich gar nicht sagen. Es gibt sicher auch unnatürliche, aber vollkommen richtige Dinge…aber „natürlich“ sind sie eben nicht.
Dennoch dürfte die Entstehungsgeschichte dieser gesellschaftlichen Norm zeitgleich mit einer gewissen „Zurück zur Natur“-Bewegung abgelaufen sein. Flower-Power, sexuelle Revolution, Pazifismus und Frauenbewegung…. Und: „Väter müssen bei der Geburt dabei sein“. Haben diese „Revolutionen“ womöglich alle irgendetwas miteinander zu tun?
Ich glaube ja.
Wertschätzung von Frauenkraft legt einen Fokus auf die Gebärfähigkeit, auf Geburt schlechthin. „Schau, Mann, wie ich gebäre und achte mich!“ mögen die ersten Vertreterinnen dieser neuen Norm gedacht haben.
„Zurück zur Natur“ lässt klinische Routinen im Geburtsablauf kritisch betrachten und in Frage stellen. Der starke Mann an ihrer Seite mag vor unsinnigen Routinen und unnötigen ärztlichen Eingriffen in natürliche Abläufe schützen (was ich bis heute für eine Illusion und eine verhängnisvolle Überforderung werdender Väter halte).
Die Pille macht Empfängnis und damit Geburt zu einem geplanten, gewollten und seltenen Ereignis und im Zuge der freien Liebe und des verzweifelten Versuchs einer sexuellen Revolution verschieben sich Scham- und Intimitätsgrenzen zwischen Mann und Frau. Gleichzeitig blüht die spätmittelalterliche Idee der romantischen Liebe wieder auf, diesmal im Mantel esoterischer und fremdkulturiger Ideen, aber sie ist immer noch dieselbe romantische Vorstellung und immer noch gleich mächtig. Wie Mond und Sonne, Ying und Yang oder „Die Schöne und das Biest“… Mann und Frau bilden eine symbiotische Einheit und sind durch romantische Gefühle geheimnisvoll miteinander verbunden. Aus dieser übersinnlichen Zweisamkeit, gekoppelt mit neuen, erweiterten Schamgrenzen und vielleicht sogar der Lust auf besondere Bewusstseinzustände, mag die Idee der Anwesenheit von Männern bei der Geburt auch entstanden sein. Wer weiß?
Nun ist sie jedenfalls da, diese neue Norm und ich nehme mir heraus, nach ihrer Bedeutung und ihrem Nutzen – und womöglichem Schaden- zu fragen. Allein diese Tatsache dürfte bereits zu Widerspruch anregen. Etablierte Normen kritisch zu betrachten ist nicht en-vogue und war es nie. Doch da die Scheiterhaufen abgeschafft sind, bedarf es weniger Mut und so wage ich es, über die Nützlichkeit der Norm zu spekulieren, dass Väter der Geburt ihrer Kinder beizuwohnen haben.
Grundsätzlich sehe ich zunächst erst mal keinen Sinn darin, sondern halte die Anwesenheit des Beziehungspartners bei der Geburt für einen potentiellen Störfaktor. Ebenso wie schlechthin die Anwesenheit irgendwelcher Personen, insbesondere männlicher, störend sein kann. Alles, was die Gebärende ablenken könnte von sich selbst und ihren Neocortex stimulieren könnte, ist störend. Die Anwesenheit des geliebten Partners dürfte deutlich in diese Kategorie fallen.
ABER: In einer Geburtssituation, in der die Frau sich fremd, alleine, unsicher, ängstlich, ausgeliefert, womöglich panisch fühlt, kann die Anwesenheit des „starken Mannes an ihrer Seite“ beruhigend und sichernd wirken und somit ein sehr positiver Faktor sein. Genau das ist es auch, was von den Frauen am häufigsten als Grund für die Anwesenheit des Mannes genannt wird: Sie fühlt sich einfach irgendwie sicherer, wenn er dabei ist. Ich frage nun an dieser Stelle: Wie kann es sein, dass wir klaglos als „normal“ hinnehmen, dass Frauen sich unwohl, fremd, unsicher, ängstlich in der Geburtssituation fühlen? Ihr lieben, hochgeschätzten Hebammen, Geburtshelfer und Klinikärzte, kratzt das nicht an eurer Berufsehre? Wozu seid ihr eigentlich da, wenn ich mal so fragen darf? Um ohnmächtig werdende Väter aufzufangen? Macht euren Job und nehmt den Frauen diese unschönen Gefühle. Macht ordentliche Geburtsvorbereitung und stellt mal eure Routinen in Frage. Aber das hier nur am Rande.
Ich verstehe ja, dass eine Gebärende so etwas wie Angst bei der beginnenden Geburt empfindet. Ich will ja gar nicht den Geburtsakt glorifizieren und vom schmerzfreien, ja orgasmischen Erlebnis anfangen. Nein. Ebenso wenig gehe ich auf Fälle von traumatisierten und erektionsgestörten Männern nach Mit-Geburtserlebnissen ein. Ich will schon fair sein und Einzelfälle hier nicht anführen.
Dennoch werde ich mich niemals darauf einlassen, die in unserer Gesellschaft, zu unserer Zeit üblichen Umgangsformen mit der Geburt als gegeben und unverrückbar hinzunehmen. Da läuft so Vieles falsch, da wird der hervorragend funktionierenden Natur derartig ins Handwerk gepfuscht, dass zugegebenermaßen die Anwesenheit des Partners nicht nur kaum als Störfaktor ins Gewicht fällt, sondern sogar – angesichts der verfahrenen Situation- sogar hilfreich und nützlich für die Gebärende sein kann. Dort, wo nicht selten mehrere Personen unter der Geburt ein- und ausgehen, die Frau ansprechen, berühren, gar en passant vaginal untersuchen… da stört der anwesende Partner wohl tatsächlich nicht mehr.
Wie geht es aber eigentlich den Männern damit? Mit großem Stolz und verklärtem Blick berichten sie übereinstimmend von diesem ergreifenden Erlebnis, das ihre Beziehung zur Kindesmutter gefestigt und die Vaterliebe zum Kind erst so richtig zum überlaufen gebracht habe. Okay… das ist ja auch das, was wir zu hören erwarten.
Allerdings haben wir haargenau dieselben Worte schon seit Jahrhunderten- wenn nicht länger- von frisch gewordenen Vätern gehört, egal, ob sie im Wartezimmer vor dem Kreissaal, in der Dschungel-Männerhütte, in der guten Stube, vor dem Höhleneingang, oder in der nächsten Eckkneipe auf den Moment gewartet haben, ihr Kind nach der Geburt zum ersten mal zu sehen.
Wie kommen wir eigentlich auf die Idee, ein Vater sei weniger stolz, begeistert, verliebt, hingerissen von diesem Ereignis und seinem Kind, wenn er es erst einige Minuten nach der Geburt sieht? Was unterstellen wir den Vätern denn damit? Dass sie nur in der Lage sind, echte Väter zu werden, wenn sie live und in Farbe miterlebt haben, wie ihre Sprösslinge aus der Vagina ihrer Frau gequetscht wurden? Im Ernst? Na, mich soll noch mal jemand „männerfeindlich“ nennen….
Ich will ja auch gar nicht die Männer und Väter aus den Kreissälen, Geburtshäusern und Geburts-Wohnzimmern verbannen. Nein, auch wenn ich mich womöglich streckenweise so anlese. Ich möchte nur gerne, dass jedes Paar und jede Person das individuell entscheiden kann, ohne sich von gesellschaftlichen Normen bedrängt fühlen zu müssen. Ein Vater, der der Geburt seines Kindes nicht direkt beiwohnen möchte, aus welchen Gründen auch immer, ist auf keinen Fall deswegen ein schwacher Mann, ein schlechterer Vater oder schlechterer Beziehungspartner. Im Gegenteil spricht eine solche Entscheidung in der heutigen Zeit für ein sehr reflektiertes Denken, Selbstbestimmtheit und Mut, und das könnten ja durchaus seltene und positive Punkte für ihn als Mann, Vater und Beziehungspartner sein.
Liebe werdende Väter: Das Gefühl, während der Geburt lieber vor der Tür oder wenigstens etwas abseits zu sitzen und aufzupassen, das niemand stört, ist nur natürlich im eigentlichen Wortsinn. Es disqualifiziert Euch weder als Vater noch als Mann und ihr riskiert auch damit nicht eure Bindung an euren Sprössling. Es ist weder ein Zeichen für mangelnde Männlichkeit, unreife Vatergefühle, noch für eine nicht perfekte Liebesbeziehung. Lasst Euch keinen Quatsch einreden, hört auf euer Gefühl und redet mit eurer Frau darüber!
Liebe werdende Mütter: Das Gefühl, während der Geburt lieber alleine zu sein, oder nur mit einer vertrauten Hebamme oder einer guten Freundin, ist nur natürlich im eigentlichen Wortsinn. Es disqualifiziert euch weder als Mutter noch als Frau und der Kindesvater wird auch einige Minuten nach der Geburt noch eine wundervolle Bindung zum Kind aufbauen und sehr stolz und glücklich sein. Es ist weder ein Zeichen für besondere Schwäche oder eine nicht perfekte Liebesbeziehung, wenn ihr während der Geburt lieber ohne ihn sein möchtet. Lasst Euch keinen Quatsch einreden, hört auf euer Gefühl und redet mit eurem Mann darüber!
Alle, die gerne als Paar gemeinsam die Geburt ihres Kindes erleben möchten: Macht das! Aber geht bitte sicher, dass ihr das nicht nur wollt, weil „man“ es eben so macht. Seid ehrlich zueinander und gesteht euch vertrauensvoll mögliche Zweifel und Ängste. Seid nicht enttäuscht voneinander und zweifelt nicht an eurem Partner oder eurer Beziehung, wenn der das anders sieht. Freut euch und seid stolz, dass ihr euch und eure Gefühle ernst nehmt, auch wenn sie nicht dem Zeitgeist und der gesellschaftlichen Erwartung entsprechen. Und seid ebenso stolz und freut euch, wenn es sich für euch beide richtig anfühlt, das so zu machen „wie es sich gehört“, aber eben nicht nur WEIL es sich so gehört!
Und behaltet Euch das Recht vor, dann mitten in der Situation vielleicht doch alles ganz anders zu machen!
Mit der vollzogenen Geburt werdet ihr Vater, Mutter und Kind sein, egal, wo der Vater nun im Moment der Geburt gewesen ist! Und unter uns: Danach geht’s eh erst richtig los ;)
Alles wird gut…..
……und wenn mal was nicht gut ist, ist es noch nicht fertig!
Kirsten Cordes im März 2010
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