Russland als trauriges Beispiel
Vor allem in Russland gibt es aktuell immer wieder Beispiele dafür, wie die Regierung versucht, Menschenrechtsaktvisten einzuschüchtern. Im vergangene Jahr hat das russische Parlament ein Gesetz verabschiedet, nach dem NGOs sich als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen, wenn sie aus dem Ausland Unterstützung erhalten. Die NGOs weigern sich standhaft, das zu tun, weil sie damit erklären würden, dass sie im Auftrag von ausländischen Geldgebern handeln. Immer wieder kam es seitdem zu Razzien bei russischen, aber auch ausländischen Organisationen.
Mittlerweile betrifft diese Form der Einschüchterung auch andere Einrichtungen: Jüngst wurde das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut in Russland, das Lewada-Zentrum, aufgefordert, sich als "ausländischer Agent" registrieren zu lassen. Das Institut veröffentlicht regelmäßig Ergebnisse von Umfragen. Das sei eine politische Tätigkeit, argumentierte die Staatsanwaltschaft.
Die Aufforderung der Staatsanwaltschaft bringt das Lewada-Zentrum "in eine äußerst schwierige Situation," sagte der Leiter des Instituts, Lew Gudkow. "Wir werden faktisch gezwungen, unsere Tätigkeit als eine unabhängige Forschungsorganisation einzustellen."
Sergej Nikitin, Leiter von Amnesty International in Russland, ist sehr besorgt über die Entwicklung. "Die Rückkehr von Wladimir Putin ins Präsidentenamt wurde von einer Offensive gegen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gekennzeichnet", sagte er bei der Vorstellung des Reports in Moskau.
NGOs müssen Mitarbeiter entlassen
Doch laut des Berichts sind auch in anderen Ländern wie Ägypten, Uganda und Bangladesch Bürgerrechtsorganisationen 2012 immer mehr unter Druck geraten. Am Fall Äthiopiens macht Caliskan die Folgen solcher Schikanen deutlich.
Nachdem der größten äthiopischen Bürgerrechtsorganisation im vergangenen Jahr per Gesetz untersagt wurde, Spenden zu sammeln, habe sie mehr als ein Drittel ihrer 66 Mitarbeiter entlassen und neun ihrer zwölf Zweigstellen schließen müssen. Das führe dazu, dass zum Beispiel Haftanstalten und Gerichtsprozesse in Äthiopien kaum noch von Menschenrechtlern beobachtet werden können, beklagte Caliskan.
Darüber hinaus dokumentiert der Jahresbericht, dass in 36 Staaten Menschen rechtswidrig aus ihren Wohnungen vertrieben wurden – ohne frühzeitige Vorwarnung oder vergleichbare Alternativen. Die Menschen seien nicht in der Lage, Klage zu erheben und sich zu wehren, sagte Caliskan.
Aus Brasilien wird unter anderem von solchen Fällen berichtet: Bei der Vorbereitung der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 wurden dem Report zufolge im vergangenen Jahr Tausende Menschen aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für Infrastrukturprojekte zu schaffen.
Kleiner Erfolge bei Abschaffung der Todesstrafe
Doch AI nennt auch einige positive Entwicklungen. Dazu gehört die Abschaffung der Todesstrafe im US-Bundesstaat Conneticut. Zudem soll die Durchsetzung des internationalen Rechts gestärkt worden sein – unter anderem durch das Urteil gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga, der wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten angeklagt war.
Als "großen Schritt nach vorne" bezeichnete die deutsche Generalsekretärin von AI das internationale Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels, das nach erstem Scheitern im Jahr 2012 doch noch von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde. Wegen vieler Kann-Formulierungen und Ausnahmen sowie den Gegenstimmen von Syrien, Iran und Nordkorea wird der Vertrag allerdings von vielen Seiten als ungenügend kritisiert.
Ob auf dieser Basis wirklich verhindert werden kann, dass Waffen zu systematischer Folter, Massenhinrichtungen oder zur Einsatz von Kindersoldaten genutzt werden, bleibt fraglich. Dennoch habe er Potenzial, findet Caliskan: "Wenn er umgesetzt wird, kann er trotz einiger Schwächen unzählige Menschenleben retten."
Deutsche Abschiebepraxis in der Kritik
AI fordert deswegen unter anderem Deutschland dazu auf, freiwillig weitere Regelungen zur Kontrolle des Waffenhandels anzustoßen. Grundsätzlich zeigt sich Caliskan aber zufrieden mit der hiesigen Menschenrechtslage. Als Erfolg im vergangenen Jahr wertet sie unter anderem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt wurde.
Die deutsche Abschiebepraxis hingegen kritisiert der Bericht. Flüchtlingen seien nach Ungarn und in das Kosovo abgeschoben worden, obwohl ihre Sicherheit dort nicht gewährleistet sei. So müssten etwa Roma im Kosovo mit Diskriminierung rechnen.
Insgesamt müssten alle Länder der Europäischen Union die Lebenssituation dieser ethnische Gruppe verbessern. "Man kann fast von einer Vertreibungspolitik gegenüber der Roma sprechen", sagte Caliskan und ermahnte zu entschlossenem Handeln gegen deren Diskriminierung.
Europas Umgang mit Flüchtlingen hält AI vor allem mit Blick auf die vielen Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen, für unzureichend. Täglich würden 4000 Menschen das Bürgerkriegsland verlassen – angesichts dessen müssten die EU-Länder deutlich mehr als die bisher 40.000 Flüchtlinge aufnehmen.
Axel Springer AG 2013.
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