|
Rezension:
Tauchgänge in unbekannte
Gewässer
Über Peter Fischers neuen Roman „Der Fall“
In meiner Familie gab es keine Berührungspunkte mit den Menschen in der DDR, keine Verwandtschaft, keine Reiseziele. Auch das geteilte Berlin kannte ich als Kind nur aus Schulbüchern und den Medien.
Spätestens seit 1989 hat sich dies geändert. Seit die ersten Trabbis durch Göttingen rollten hatte ich vielfach Gelegenheit, den Menschen aus der ehemaligen DDR zu begegnen. Berlin, jetzt in seiner Gesamtheit, steht oft auf unserem Reiseplan, auch politische Exkursionen führten meinen Mann und mich dorthin. Im Rahmen einer dieser Besuche besichtigten wir in Berlin-Hohenschönhausen, die ehemalige zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR, waren betroffen und schockiert. Eine andere Qualität hat es, kennt man einen Menschen, den das Schicksal einer solchen Inhaftierung getroffen hat, persönlich. Peter Fischer gehört dazu, und er arbeitet sein Leben in der DDR mittels einer Roman-Trilogie auf.
Peter Fischers kluger und inhaltsschwerer Roman „Der Fall“ stellt den Mittelteil dieser Trilogie dar. Deren Protagonist, Michael Sahlok, durchlebt die Erlebnisse seines Autors noch einmal. Angereichert werden die Schilderungen jedoch durch reale Erinnerungsfragmente sowie Ausflüge ins Phantastische, wobei der Autor bei letzteren die Grenzen zwischen Wahrheit und Dichtung diskret verwischt.
Worum geht es in dem Band?
Sahlok, als politischer Häftling inhaftiert, wird nach Jahresfrist, 1975, aus der DDR frei gekauft. Nach einem Kurzaufenthalt im Notaufnahmelager Gießen lebt er in West-Berlin und arbeitet dort als Redakteur.
Der Roman erzählt von dem Eintauchen seiner Hauptfigur in die westdeutsche Welt, und – um im Bild zu bleiben – es sind nicht nur angenehme Entdeckungen, die die Tauchgänge in unbekannte Gewässer bieten.
Mit allen Sinnen erkundet Michael Sahlok das für ihn Neue und Fremde, und so, als wäre es ihm immer wieder zu schwierig, zu vielfältig, zu erschreckend manchmal, flüchtet er sich in die Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend. Doch auch die Drangsal der Gefangenschaft holt ihn ein, und es ist beachtlich, mit wie wenig Bitterkeit er darüber zu berichten vermag.
Dieses Buch mit seiner sorgfältig ziselierten, immer lebendigen Sprache ist keine Abrechnung mit den Umständen, unter denen Sahlok in der DDR zu leiden hatte. Drängt sich kurz der Verdacht auf, die seitdem vergangene Zeit könne den Autor milde gestimmt haben, so wird dieser entkräftet durch die Präzision der erinnerten Szenen, die auf ein perfekt funktionierendes Gedächtnis schließen lassen dürfen. Sollte ich hier irren, und detaillierte Aufzeichnungen bilden die Fundgrube für Peter Fischers Trilogie, ist die Sachlichkeit, mit der er sich mit dem ihm widerfahrenen Unrecht auseinandersetzt umso mehr wert, herausgestellt zu werden.
Detailliert und präzise schildert Peter Fischer Schauplätze und die Menschen, die ihm begegnen. Die Orte wirken wie Bühnen, auf denen Theaterschauspieler in einer bis aufs Letzte ausgefeilten Inszenierung, oftmals clownesk, makaber auch agieren. Dennoch glaubt man dem Autor, dass er Zeitgenossen zeigt und keine Phantasiegestalten, spätestens, als er seinem Protagonisten den Dichter Reiner Kunze begegnen lässt und den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt.
Als eine Jugendfreundin Sahloks auftaucht und ihn um Fluchthilfe für ihren Mann bittet, kommt es nach einem Rat des Befragten zu ungeahnten Schwierigkeiten. Der in der westdeutschen Botschaft in Warschau untergetauchte Flüchtling sitzt dort fest. Günter Gaus, ständiger Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, setzt sich bei Honecker selbst für den Mann ein, und der Roman wird so spannend, dass man gern mehr davon gelesen hätte.
Hoffen wir nun auf den dritten Teil des Romanzyklus, der sicherlich folgen wird.
Sabine Prilop
(Die Rezensentin ist Autorin zahlreichen Anthologien, Lyrikbände, zudem stellvertretende Landesvorsitzende des deutschen Schriftstellerverbandes VS von Niedersachsen und Bremen. Ihr Beitrag ist der Literaturzeitschrift „WortNetz“, Organ des Verbandes deutscher Schriftsteller Niedersachsen/Bremen, entnommen)
Peter Fischer: Der Fall, Ludwigsfelder Verlagshaus 2011, ISBN:978-3-933022-72-1 Preis: 22,00 Euro
|
|
83x
|
|