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Der halbe Mann und der Gott des Schicksals
Es war einmal ein halber Mann. Was alle Menschen zweimal haben, hatte er nur einmal: einen Arm, ein Bein, ein Auge, ein Ohr.
Er konnte nur schlecht leben. Wenn er etwas zu tun hatte, fiel es ihm sehr schwer. Er war unglücklich.
Da hörte er von dem Gott des Schicksals und er beschloss, ihn aufzusuchen und ihn um ein anderes, ein besseres Los zu bitten.
Man hatte ihm gesagt, der Gott des Schicksals wohne etwas verborgen, in einem Tal, in einer großen Reisscheuer. Also machte er sich auf und humpelte den Weg entlang zum Gott des Schicksals, und als er dort endlich angekommen war, stellte er sich an die Leiter, die hinaufführte zu seiner Luke und rief: “Gott des Schicksals, höre mich, Gott des Schicksals höre mich!”
Der Gott des Schicksals war gerade damit beschäftigt, Päckchen zu packen, Bündel, Losbündel für die Menschen. Er hörte den Ruf, schaute zur Luke hinaus und fragte: “Was ist mit Dir, Söhnchen?”
Ach Gott des Schicksals, höre mein Leid, ich bin nur ein halber Mann. Es fällt mir schwer die Dinge zu tun, die die Menschen sonst mit Leichtigkeit vollbringen.
Sie können mit ihren Beinen laufen, sie können arbeiten mit ihren Händen. Ich muss alles so schwer verrichten.
Bitte, gib mir doch ein anderes, ein besseres Los, so dass ich mich auch einmal freuen kann im Leben!”
Der Gott des Schicksals hielt einen Augenblick inne und dachte nach, blickte dann auf seine Hand, inder gerade ein Losbündel lag. Dann sagte er: “Nimm dies!” und warf ihm das Losbündel zu.
Der halbe Mann hob es auf und war glücklich. Er lief nun und ja eilte, so gut er nur konnte zurück in seine Hütte. Er konnte es kaum erwarten, bis er von dem Bündel die Fäden gelöst und es aufgeschlagen hatte. Er band die Fäden auf, schlug das Tuch zurück - aber .....da war ja wieder ein halber Mann.
“Nein, das kann nicht sein, ich habe doch um ein besseres Los gebeten! Der Gott des Schicksals kann mir doch nicht dasselbe geben.
Das muss ein Irrtum sein. Nein, ich trage es wieder hin.”
Er schlug das Bündel zusammen und trug es wieder zurück in das Tal zum Gott des Schicksals.
Er stellte sich an die Leiter und rief: “Gott des Schicksals, Gott des Schicksals, höre mich!”
Der Gott des Schicksals schaute aus der Luke und fragte: “Nun, warum kommst Du wieder? Bist Du nicht zufrieden?”
“Nein Gott des Schicksals, ich habe doch um ein besseres Los gebeten, aber Du hast mir noch einmal dasselbe gegeben. Ich habe genug, ein halber Mann zu sein.Bitte, gib mir ein besseres Los!
Der Gott des Schicksals besann sich einen Augenblick und sagte: “Komm herauf!” Mit Mühe kletterte der halbe Mann die Leiter hinauf, kroch durch die Luke und kam in einen großen Saal und staunte, denn der Saal war voll gefüllt mit Päckchen, Bündeln - Losbündeln.
Ach, da waren herrliche Bündel dabei, schön verschnürt mit bunten Bändern, mit einfachen Bändern. In verschiedenes Papier gepackt, Seidenpapier, kräftiges Papier, mit Muster, ohne Muster. Es waren kleine und große, dicke, dünne, runde eckige.
“Bitte”, sagte der Gott des Schicksals, “wähle!"
So hüpfte nun der halbe Mann durch den Gang und hob das eine um das andere Bündel in die Höhe. Hm, aber das eine war zu schwer, das andere zu leicht, wieder ein anderes war auch schön ja, aber es war zu groß.
Er probierte, er wog sie in seiner Hand und ließ sie wieder sinken. Aber endlich fand er doch eines, von dem er glaubte, dass es das rechte Maß habe. Es war auch schön verschnürt. “Ich glaube, das ist gut!” Er wog es und ja es lag so gut in seiner Hand.
Er fragte: “Darf ich das nehmen?”
“Ja, sagte der Gott des Schicksals, nimm es.”
Nun lief unser halber Mann so gut er konnte zurück an die Luke, kletterte die Leiter hinab und humpelte nach Hause. Er war voller Freude und voller Spannung, was nun sein Losbündel enthalte.
Er konnte es nicht erwarten, riss die Bastfäden auf und schlug das Tuch auf. Was sah er?
Es war wieder ein halber Mann.
Könnt Ihr Euch denken, wie unglücklich er war?
“Was soll ich nun tun? Ich habe mir selbst dieses Bündel gewählt. Es lag so gut in meiner Hand. Aber bei wem soll ich mich beschweren, es ist wieder ein halber Mann. Ist es mein Los, ein halber Mann zu sein?
Nein, ich habe es mir selbst gewählt, ich kann den Gott des Schicksals nicht anklagen. Ich habe es mir selbst gewählt und muss mich damit abfinden.”
Und denkt Euch, von dem Augenblick an, wo er sich das sagte, “Ich habe es mir selbst gewählt”, war ihm das Los, ein halber Mann zu sein, nur noch halb so schwer.
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