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Eine sanfte, seltsam bekannte Stimme weckte mich aus meinem unruhigen Schlaf. Ich lag zusammengekauert in dem ca. zwei Meter tiefen Schneeloch, dass ich mir mit Hilfe eines alten, versteinerten Stockes, den ich irgendwo fand, gegraben hatte, um mich gegen die Kälte zu schützen. Erstaunlich, wie warm es in so einem Loch werden konnte. Dank sei den arktischen Völkern, die diese Art des Lebens, schon seit Jahrtausenden in ihren Iglus praktizieren. Noch schlaftrunken öffnete ich mühsam die schweren Augenlieder und versuchte den Besitzer der Stimme zu orten. Ich konnte niemanden entdecken. „Komm, steh auf“, da war sie wieder, diese Stimme. „ Es ist Zeit zu gehen“. „Wohin?“ fragte ich, „Du wirst schon sehen“ war die knappe Antwort. Ich quälte meinen steifen, innerlich und äußerlich kalten geschundenen Körper aus dem Loch. „Schau dort, direkt vor Dir“, mein Blick glitt über das vereiste Bergmassiv, an dessen Fuße ich mich befand. Zuerst sah ich nichts und wollte mich schon enttäuscht und verärgert abwenden, doch dann entdeckte ich fast unmittelbar vor mir den schmalen Eingang einer Höhle. „Geh hinein“ befahl die Stimme. Vorsichtig bewegte ich mich auf den Eingang zu. Als mir daraus warme Luft entgegenströmte, ließ ich alle Vorsicht fahren und zwängte mich durch die Öffnung. Ich stand in einer relativ geräumigen Höhle durch die ein Weg führte, der irgendwo im Dunkeln verschwand. „Folge ihm“, „Wem?“ fragte ich „hier ist niemand!“. „Dem Weg natürlich“, „Ach so!“ antwortete ich. Unsicher, aber durch die angenehmere Temperatur etwas gestärkt ging ich den Weg entlang.
Nach ein, zwei Stunden Wanderung, durch die mystisch beleuchtete Höhlenwelt drang plötzlich der leicht salzige Geruch von Meeresluft an meine Nase. Ich beschleunigte meine Schritte. Sollte Dies tatsächlich der Weg nach draußen sein? Raus aus der Eiswüste? Weiter vorne bemerkte ich nun eine weitere Öffnung in der Felswand. Ein neuer Eingang? Oder vielleicht sogar ein Ausgang?? Mit schnellen Schritten bewegte ich mich, innerlich sehr angespannt darauf zu und ging ohne Bedenken hindurch als ich sie erreichte. Die sanfte Wärme einer lauen Sommernacht hüllte mich ein, ja, liebkoste mich fast. Unter meinen Füssen konnte ich den feinen warmen Sand des Strandes spüren auf dem ich mich nun befand. Fast, drang so etwas wie ein kleines Glücksgefühl durch die Kälte in meinem Inneren. Vor mir sah ich ein weites blaues Meer. Die Nacht wich bereits dem anbrechenden Morgen. Die Millionen von leuchtenden Sternen am Himmel verblaßten gerade, als sich der rotgoldene Feuerball der Sonne am Horizont aus dem Meer erhob. Ich genoß diesen Anblick und hatte sogar das Empfinden als flössen einzelne Tautropfen von dem Eisklumpen meiner Gefühle in mir ab durch die wärme der aufsteigenden Sonne. Ein mittelgroßes Segelschiff war das einzige, was hier meine Aufmerksamkeit gefangen nahm, ansonsten gab es hier nichts ausser ein paar Palmen und diesen herrlichen weißen Strand. Ich nahm das Schiff näher in Augenschein. In großen Lettern war am Bug der Name angebracht: „Neue Ufer“. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sich niemand darauf befand wagte ich es an Bord zu klettern. Es hatte gerade die richtige Grösse, um mit 1 – 4 Personen eine längere Fahrt zu unternehmen. Die Planken waren hervorragend ineinander gearbeitet und abgedichtet. Die Segel neu, sowie Ersatzsegel die ordentlich gestapelt an Deck lagen. Ich begab mich durch die einzige Luke an Deck nach unten. Hier empfing mich ein kleiner Frachtraum gefüllt mit Lebensmitteln, Wasserfässern und sogar zwei Fässern Rotwein. Beim weiteren stöbern sah ich Regale, gefüllt mit gut gesicherten Tintenfässern, leeren, in Leder gebunden Notizbüchern, daneben, Leinwände sowie bestes Zeichenpapier, nebst einer anzahl verschiedener Farbpigmente und gereinigtes Tierfett und Harze zum herstellen von Pastellkreiden. Daneben entdeckte ich noch diverse Kisten mit verschiedenen Instrumentensaiten und Rohrblättern. Den krönenden Abschluss machten einige Kisten mit allerlei nützlichen Werkzeugen. Ein Anflug von Begeisterung machte sich in mir breit. Glücklich konnte sich schätzen, wer mit diesem Schiff reisen durfte. Ich ging wieder nach oben und inspizierte nun die Kajüte. Sie besaß vier ordentliche, saubere Kojen. Der Schreibtisch war eingerichtet zum Schreiben und Zeichnen, beherbergte aber auch einen Kompaß und einen Sextanten zum navigieren. In einer Ecke stand einbequemer Stuhl, um den herum sich verschiedene Instrumente befanden. Eine Gitarre, eine Ukulele, verschiedene Flöten und andere Blasinstrumente sowie eine geschlossene Truhe, die an der Wand stand. Meine Neugier überwand den Skrupel fremdes Eigentum zu begutachten und so öffnete ich die Kiste. Sie war gefüllt mit Zauberutensilien, genug für einige abendfüllende Vorstellungen. Wow, alleine mit der Ladung des Schiffes hätte ich mir zugetraut an jedem Ort, zu jeder Zeit zu überleben. Es wurde Zeit und ich begab mich wieder an den Strand. Ich schaute hinüber zum Schiff, wem mochte es wohl gehören? „Es wurde für Dich gebaut und beladen“ ließ sich plötzlich die Stimmer wieder vernehmen. „Wer bist Du?“ fragte ich. „Ich bin Du und Du bist Ich“ war die klare Antwort. Ich hatte keine Drogen genommen, aber vielleicht hatte der Schmerz und das Leiden in den letzten Monaten mich schizophren werden lassen. „Keineswegs“ kam unvermittelt die Antwort „ Wenn niemand mehr da ist, dann hast Du nur noch mich und damit, Dich“ ließ die Stimme sich vernehmen. Ja., damit konnte ich etwas anfangen, ein alter Song von Frank Sinatra kam mir in den Sinn: „ wenn ich auf dem Boden auf dem Gesicht liege, dann hebe ich mich selbst auf und bring mich zurück ins Rennen“
„Das Schiff trägt den Namen der Orte, an die es dich hinbringen soll“ hörte ich. Zu neuen Ufern? Was hatte ich zu verlieren? Meine Gedanken ließen Revue passieren. Da gab es jemanden der mich liebte, für den ich aber nichts mehr empfand. Meine Kinder liebten mich auch und ich Sie, ich würde alles für sie tun. Und dann gab es noch Sie. Für eine kurze zeit hatten wir uns beide geliebt. Aber dann gab nur noch Schmerz. Jemandem wie Ihr würde ich wahrscheinlich nie wieder begegnen. Die Liebe seines Lebens trifft man nur einmal. Würde ich mich wieder auf Sie einlassen wenn Sie es wollte? Ja, ich könnte nicht wiederstehen zu stark die Empfindungen. Nein, ich hatte es nicht geschafft die Liebe zu ihr aus meinem Herzen zu reißen. Also, musste ich es wohl nehmen wie es war. Ein altes Gebet viel mir ein: Gott gib mir die Kraft, die Dinge zu ändern die ich ändern kann. Aber auch die Kraft, die Dinge hinzunehmen die nicht zu ändern sind. Ja, das war es! Ich konnte die Liebe nicht aus meinem Herzen herausreißen. Sie würde wohl immer in mir bleiben. Aber es konnte mich auch niemand zwingen meine Liebe zu vergeuden für jemanden, der mich offensichtlich nicht mehr liebte. Käme Sie, würde ich mich nicht wehren. Aber jetzt war es für mich an der Zeit mich abzugrenzen, mich vor weiteren Verletzungen zu schützen und den Schmerz los zu lassen..
Aber, würde diese Reise mich wirklich zu neuen Ufern bringen? Oder würde sie im Chaos und Untergang enden? Ja, mit Dreißig, da war ich im Zenit meiner Kraft. Aber jetzt? Was hatte ich? Nun irgendjemand, der es anscheinend gut mit mir meinte, hat mich mit vielerlei Gaben und Talente, sowie mit einem unstillbaren Wissensdurst ausgestattet. Ich schaute an meinen Armen herab. Sie waren immer noch muskulös und stark, viel hatten Sie mit den Jahren nicht eingebüsst. Ja, ich würde es schaffen, denn hinzugekommen waren die Reife und die Erfahrung der Jahre und Wissen. Ein leichter, aber immer stärker werdender Windstoß fuhr mir in den Rücken, zerzauste meine Haare und schreckte mich auf. Jetzt war es Zeit! Zeit aufzubrechen. Ich stemmte mich gegen das Heck des Schiffes schob es ins Wasser und begab mich an Bord. Die Segel wurden schnell gehißt und sogleich von dem nun stark angeschwollenen Wind erfasst. Mit mässiger Geschwindigkeit glitt der Bug auf den Horizont zu. Als ich zur Kajüte blickte, glaubte ich meinen Augen kaum zu trauen. Zärtlichkeit und Liebe standen, immer noch als Eisstatuen in einer Ecke, die Hoffnung saß, immer noch blaugefroren, aber doch am Leben auf einer der Kojen. Irgendwie mußten sie auf das Schiff gebracht worden sein als ich in meinen Gedanken versunken war. Hoffnung winkte mir zu. Die Hoffnung als Begleitung, das war gut. Zärtlichkeit und Liebe, wer weiß vielleicht eines Tages, auf dieser langen Reise werden sie möglicherweise wieder auftauen und zu neuem Leben erwachen. Ich werde viel Zeit haben. Meine Wunden heilen zu lassen, meine Talente zu verfeinern. Und eines Tages, werden sie am Horizont erscheinen, die neuen Ufer und langsam, ganz langsam steigt die alte Abenteuerlust wieder auf in mir.
© RB
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